Leben im Zug

3000 Kilometer hat der Zug inzwischen zurück gelegt. Heute früh wachten wir auf dem Bahnhof von Omsk auf und leben jetzt in einer Zeitblase zwischen Moskauer Zeit (6 Uhr an der Bahnhofsuhr) und der reginalen Uhrzeit von plus 3 Stunden mehr auf den Uhren der Omsker. Verwirrende Sache, diese relative Zeit.

Unser Zug durcheilt gerade eine sibirische Steppenlandschaft. Viele Birken wechseln sich mit weiten Gras- und Buschflächen ab. Gestern Nachmittag erklomm der Zug einen kleineren unspektakulären Pass und wir liessen Europa hinter uns und begrüssten Asien. Der erste Halt auf dem asiatischen Kontinent war die grosse Stadt Ekaterinburg. In unserem Geographie Unterricht hiess diese Stadt, das Tor zu Sibirien, noch Sverdlovsk – aber die Zeiten ändern sich und Namen sind Schall und Rauch. Die vom Zugfenster zu sehenden Hochhäuser zeugten eindrücklich davon, dass wir gleich in einer Millionenstadt (1,3 Millionen Einwohner) halten werden. Für solch eine beeindruckend grosse Stadt ist der Bahnhof dann recht provenziell. So ganz anders als unsere grossen stolzen Bahnhöfe in Leipzig oder Luzern. Die Bahnhöfe bestehen aus einem mittelgrossem Stationsgebäude und davor die Gleise mit 4 bis 5 unüberdachten Bahnsteigen.

War in Moskau der Bahnsteig noch erhöht und ein Einstieg ebenerdig möglich, muss jetzt unsere Waggon-Chefin an jedem Halt eine grosse Stahlplatte im Türbereich anheben und eine Treppe auf den tiefen Bahnsteig ausklappen. Dann steht sie wie ein Wachposten vor der Tür und klappt kurz vor Abfahrt des Zuges wieder alles zurück.

Am Bahnhof von Ekaterinburg befanden sich zwei schöne Portale mit der Stationsaufschrift und zur linken Seite „Asien“ und zur rechten „Europa“ … genauso wollten wir es haben. Die Entfernung erfahren, merken, wo man ist. Natürlich ändert sich nicht alles sofort, wenn der Ural überquert ist. Die Dörfer sind genau so windschief und wirken ebenfalls verlassen. Auch die Landschaft ändert sich kaum merklich. Der Mischwald mit hohem Baumbestand nahm ab zugunsten der knapp 20 Meter hohen dünnen Birken.

An den Bahnhöfen können wir uns gut versorgen. Entweder hat es einen klassischen Kiosk, der alles vom Softdrink über Wurst, Käse und Brot bis zu Teebeutel und Zucker anbietet. Oder Frauen verkaufen aus riessigen Plastiktaschen die bereits probierten Fladen, geräucherte Fische oder grosse Fellmützen mit Bommeln dran. Alles was der Sibirienreisende halt so braucht.

Bei der Ausfahrt aus der Stadt durchquert der Zug die typischen Satelitenstädte die wir aus Berlin Marzahn oder unserem Hoyerswerda kennen. Es ist die gleiche Platte, wie bei uns zu Hause. Das gleiche Grau mit dem selben Typ Fenster und Balkon wie im Hoyerswerdaer Stadtzentrum vor über 20 Jahren. Einen Unterschied gibt es aber. Hier in den russischen Städten links und rechts der Bahntrasse passierte in den letzten 20 Jahren nichts. Keine Hochhäuser wurden zurück gebaut oder gar renoviert. Die letzte Farbe platzt von den Wänden und jeder Balkon ist wild und bunt gemixt anders gestaltet. Daneben entstehen, gerade in Ekaterinburg neue, modern von aussen anzusehende Wohn- und Bürotürme mit vielen neuen Fenstern die leider nicht dauerhaft dicht mit einem Schweizer Qualitätsprodukt verklebt werden.

Zu unserem Alltag im Zug. Heute sitzen wir bereits den 3. Tag in unserem kleinen Reich, die Gelegenheit zu berichten, was Aufregendes so alles passiert … Nicht viel! Aber das ist auch gut so 😀 …

Seit Moskau ist ein ständiges Kommen und Gehen in unserem Waggon. Beständig mit uns bleibt das ältere deutsche Ehepaar neben uns und das nette, ebenfalls bereits ältere russische Paar im Zug. Von unseren deutschen Nachbarn wissen wir, dass sie bis Wladiwostock reisen werden und von dort weiter nach Japan. Das russische Paar lächelt und wünscht einen Guten Morgen – mehr Konversation haben wir bisher nicht zu Stande gebracht. Die Frau trägt seit dem sie in den Zug eingestiegen ist einen lustigen Overall aus Frottee-Stoff und wenn es zu kalt aus der Lüftungsanlage bläst darüber ein Jäckchen mit Kaputze, dass bei uns vor 30 Jahren jedes Baby gut bekleidet hätte.

Die wechselnden Gäste lernt man natürlich noch weniger gut kennen und daher nur kurz die Schubladen, in die wir unsere Begleiter auf Zeit einsortiert haben: der russische Business-Man, der die gesamte Zeit an seinem Laptop (vermutlich) gearbeitet hat, der zwielichtige Typ, der nie aus seinem Abteil kam, die Matronin mit Ihrem Mann, die in einer Zugstunde zwei Flaschen Krimsekt geleert hatten und dann noch die zwei Chinesen, die rücksichtslos waren und unter ihren Synthetikanzügen einen genauso knisternden synthetischen Trainingsanzug tragen – für den Zug, beim Aussteigen wurde dann einfach der Anzug wieder darüber gezogen. Man ist recht dicht beieinander hier …

In Ekaterinenburg sind neben uns zwei finnische Paare eingezogen. Dafür, dasss wir Finnen bisher eher als ruhiges Nordvolk kennen gelernt haben, war einer der mitreisenden Männer sehr an Kommunikation interessiert und so wissen wir nun, dass sie alle bereits in Pension sind und mit dem Zug mit Zwischenstops von Helsinki über St. Petersburg und Moskau bis nach Wladiwostock reisen. Kleines Zwischenfazit: in unserem „Softsleeper“-Waggon reisen mit uns reichere Russen und Pensionäre 😒

Die Hardcore-Traveller gibt es aber auch im Zug … allerdings reisen die entweder im mit 4 Personen belegten Abteil oder noch näher dran im Liegewagen-Abteil ganz ohne Privatsphäre. Dieser Waggon hat nur Liegen, ohne trennende Zwischenwände. Eine Bucht mit je 2 Liegen auf jeder Seite und dazu im Gang ebenfalls zwei Betten in Fahrtrichtung übereinander. Bunt gemischt und gut gefüllt liegen dort dösend oder schlafend die Reisenden, während daneben oder darüber geschwatzt und gepicknickt wird.

Unser Tagesablauf ist recht kurz zu beschreiben. Man schläft solange man will oder kann. Der Zug rattert so wunderbar gleichmäßig und schwankt auf den Gleisen hin und her, dass es sich recht gut schlafen lässt. Ist es im Abteil dunkel, fliegt vor dem Fenster die vom Mond beleuchtete Landschaft vorbei. Du siehst das dramatisch arangierte Wolkenbild und die Spitzen der Bäume. Zwischendurch blitzt das Licht der wenigen durcheilten Stationen herein und lichtfluten unser Abteil. Der Zug fährt nicht gerade langsam – besonders die letzte Nacht musste er bis Omsk eine Verspätung von fast 2 Stunden wieder einholen. Was dem Lokführer auch gelang.

Die Abteiltür lässt sich zwar von Innen verriegeln, aber problemlos von Aussen mit einem Dreikant öffnen. Das fürs Logbuch oder andere Transsib-Reisende: Solch ein Dreikantschlüssel wäre hier im Zug eine hilfreiche Sache um zumindest provisorisch sein Abteil zu verschliessen, wenn Du am Bahnhof aussteigst oder im Zug unterwegs bist. Wir fühlen uns hier in unserer kleinen Gemeinschaft aber sicher und schlafen ruhig.

Die meisten unserer Mitreisenden machen es wie wir und versorgen sich bei den Zwischenhalten auf den Bahnsteigen mit allem Notwendigen. Wir frühstücken unser trockenes Brot mit dem Räucherkäse, trinken unseren süssen Tee und den Fruchtnektar aus dem Tetrapack mit Strohhalm dazu. Die einen klappen das Bett zurück und sitzen auf den Bänken (wir Westeuropäer) bei den anderen reicht die Tagesdecke über dem Bett aus.

Das heisse Wasser für den Tee holen wir uns unablässig aus dem grossen Samowar, der vor dem Abteil der Waggonchefin steht. Es ist wunderbares mit den schweren Gläsern mit heissem, süssen Tee vor dem Fenster zu sitzen und vor sich hin zu starren … Meditativ!

Die tägliche Morgentoilette! Wird überbewertet! Am Ende des Waggons hat es zwei kleine WC-Abteile. In einem Klappfach in unserem Abteil hängen für jeden zwei Handtücher, mit denen man sich zum Waschen in die genannten Zug-WC begibt. Es fehlt an Platz um sich zu bewegen, einem nutzbaren Waschbecken (das vorhandene ist die kleine Schwester unserer Handwaschbecken in WC’s) und warmen Wasser. Aber Zähneputzen und Gesicht feucht machen geht schon irgendwie und in Irkutsk wartet bestimmt eine Badewanne auf uns 😉

Und dann liest man, hängt seinen Gedanken nach, hört Musik, redet miteinander und reist immer weiter nach Osten. Die innere Uhr ist durcheinander, aber da man nichts leisten muss, nur aushalten bis seine Station kommt, geht die Lethargie in Ordnung

Eine Sache ist noch berichtenswert … Uns verfolgen die deutschen Medien auf unserer Reise. Bereits in Moskau auf der Terrasse an der Moskauer Uni oberhalb der Stadt fiel uns ein junger Mann auf, der mit der gleichen Kamera wie wir ausgerüstet, hunderte aufeinander folgende Bilder des gleichen Stadthochhaus-Panoramas machte. Alle 2 Sekunden ein neues. Weckt natürlich unser Interesse und kommunikativ wie wir inzwischen sind sprachen wir ihn auf Englisch an und erfuhren recht schnell, daß die Unterhaltung in Deutsch viel besser klappt, er für das ZDF und arte arbeitet und sie eine Reportage in Moskau drehen. Die vielen Einzelbilder werden später zu einer kurzen Filmsequenz zusammen geschnitten und zeigen dann im Zeitraffer die über die Hochhäuser fliegenden Wolken – wieder etwas gelernt.

Beim Einsteigen in Moskau war dann ein Kamerateam des SWR unüberseh- und -hörbar dabei. Das SWR Team reist in unserem Zug mit und wie wir von einem der Begleiter erfahren konnten, dokumentieren sie die Reise einer Gruppe von Eisenbahn-Enthusiasten. Zwei Eisenbahn-Ingenieure, einer aus Bayern und ein Russe hatten vor zwei Jahren die Schnapsidee mit einem Kurswagen von der Endstation einer Museumsbahn in Behringersmühle bis an den Baikalsee zu reisen. Die  russische Staatsbahn stellte dafür einen Waggon inklusive der obligatorischen beiden Begleitpersonen zur Verfügung, der normalerweise zwischen Moskau und mitteleuropäischen Destinationen verkehrt. Der Wagen ist deshalb etwas weniger hoch als die übrigen Waggons unseres Zuges und zudem etwas spartanischer ausgestattet. Wir besuchten heute die Gruppe in ihrem Waggon und redeten mit Felix, dem dolmetschenden Student aus Greifswald über das Reisen und neue Ziele für uns im südlichen Russland und stellten mit Henry fest, dass wir in der gleichen Stadt gross geworden sind – was irgendwie beweist, dass Du Leute aus Hoyerswerda überall in der Welt treffen kannst. Die Gruppe wird bei ihrem Alltag in der Transsib gefilmt und reist so aus der deutschen Provinz über Prag, Brest und Moskau bis nach Baikal-Port und wieder zurück. Dazu wird ihr Waggon an die Regelzüge angekoppelt und seit Moskau hängen sie an unserem Zug und werden bei ihrem Abenteuer gefilmt. Wir müssen unbedingt noch den voraussichtlichen Sendetermin in Erfahrung bringen …

Inzwischen liegen 5200 Kilometer zwichen Moskau und uns. Die Bahnhofsuhr der letzten Station in Angarsk zeigte 15:20 Uhr zwar an, allerdings lag die Station schon in spätabendlichem Dunkel. Der nächste Halt ist unser und das Etappenziel Irkutsk ist erreicht.

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