Maschine macht Musik

Ein kurzer Gedanke … Damdam … der nächste kurze Geistesblitz … Damdam … ein neues Bild vor Augen … Damdam … Birken, Birken, Birken … Damdam … der Zug rollt immer weiter nach Osten … Damdam … die kräftge Lok reisst die vielen Waggons förmlich nach sich … Damdam … die Eisenbahn singt und quietscht in den Gleisen und das ständige … Damdam … ist der Rhythmus … Damdam … ein Ruck geht durch den ganzen Zug … Damdam … wie ein Impuls läuft diese Energie von Waggon zu Waggon … Damdam … Von Puffer zu Puffer … Damdam … so wird das nahezu unendlich lang weiter gehen … Damdam … und man entfernt sich und kommt dem Ziel näher.

Wir entfernen uns immer weiter von Irkutsk. Inzwischen liegen zwischen unserem neuen „Reich“ und dem „Paris Sibiriens“ gut 400 Kilometer. Wir rollen, rasen, kriechen durch eine spätsommerliche Landschaft unserem Ziel Ulan Bator in der Mongolei entgegen. Die Wärme der noch hoch stehenden Sonne ist zu spüren. Es ist nicht heiss, aber angenehm warm und schön trocken. Landschaftlich durchfahren wir den bisher interessantesten Teil unserer bisher fast 6000 Kilometer Bahnreise.

Heute früh gegen 8 Uhr (oder eben wieder  kurz vor 3 Uhr Moskauer Bahnhofsuhrenzeit) stiegen wir in unseren nächsten Zug nach Ulan Bator. Der Zug fährt von Moskau kommend bis nach Peking und gehört der chinesischen Bahn. In unserem Transsib-Reiseführer wurden im Serviceteil die Züge der Chinesischen Bahn als komfortabler beschrieben – können wir bisher nicht so nachvollziehen. Wehmütig dachten wir in den ersten Minuten in diesem Zug an „unseren“ Zug Nr. 2, der uns von Moskau nach Irkutsk brachte, zurück. Unsere Waggonchefin war herzlich und um die Sauberkeit in ihrem Reich bemüht. Die beiden chinesischen Schaffner verstehen uns nicht – wir sprechen ja auch kein Chinesisch – und Gestik nur schwer(fällig). Seit unserer Abfahrt in Irkutsk waren beide intensiv mit der Zubereitung ihres Essens beschäftigt und mit sonst nichts anderem. Im leeren Abteil neben uns wurden Zutaten auf einen grossen Brett gehackt, Teigtaschen geformt und mit einer Masse aus vermutlich Hackfleisch gefüllt. Gerochen hat es recht interessant. Wo gekocht wurde – dazu komme ich noch. Der Spannungsbogen muss ja gehalten werden. Nach dem beide mit einem 3. Kollegen zusammen gegessen hatten sind sie wieder irgendwo hin verschwunden. Vermutlich den gewerkschaftlich zugesicherten Mittagsschlaf abhalten.

Unser Waggon und das Abteil ist plüschiger und schmutziger, als in den russischen Wagen. Alles ist in unser Klasse mit billigen Holzfurnierdruck verkleidet und die Böden mit einem schmuddlig, krümeligen Teppich belegt. Aus den Schuhen raus ist keine Option. Die Waggons sind deutlich älter als die Waggons der russchischen Staatsbahn. Unser Abteil hat die beiden Betten übereinander und durch eine seitliche Tür in der Kabine gelangt man in einen Waschraum, den wir uns mit dem benachtbarten Abteil teilen. Der Waschraum hat ein Waschbecken und einen Brausekopf an einem längeren Duschschlauch – aber ich vermute, dass ich auf die morgendliche Dusche verzichten werde. Alle Polster im Abteil und die zusätzlichen Sitze im Gang sind mit rot gold gewebten Stoffen bedeckt. Sobald der Zug rollte reichte uns einer unser Zugbegleiter Bettwäsche und uns steht es frei, die fleckige „Pferdedecke“ noch zu beziehen, wenn wir uns später zum Schlafen hinlegen werden. Alles eine deutliche Klasse unter dem Zug der Transsib – alles machbar, aber ein wenig schade, der etwas geringere Komfort auf den nächsten beiden Bahnstrecken. Es kann eine wirklich tolle Sache sein, dieses Leben im „Basar auf Schienen“…(Paul Therox)

Es riecht anders in diesem Zug. Es stinkt nicht, es richt nach Kohlerauch. Ein Geruch in der Luft, den wir aus unserer ersten Wohnung mit Ofenheizung noch kennen. Auch der chinesische Waggon hat am Gangende einen Samowar für heisses Wasser für den Tee oder den Proviant der Neuzeit: Instant-Nudeln! Anders als im russischen Zug wird dieser aber nicht elektrisch betrieben, sondern durch eine recht grosse Kohlefeuerungsanlage im Bereich der Waggontüren. Und dort, auf einer offenen Kohlefeuerstell, kochten überall im Zug die chinesischen Zugbegleiter ihre Verpflegung. Ein nostalgischer Geruch, den wir so heute gar nicht mehr kennen – nicht der Geruch vom Würstchengrillen, der ist archaischer 😉 – Du hast in der Nase den Geruch der Kohle und des gerade garenden, dünstenden, kochenden oder bratenden Gerichts, ds dort in dieser Nische zwischen Waggontür und Durchgang zum nächsten Wagen zubereitet wird. Die Kohle ist nur grob gebrochen, kein Brikett. Und unter der Feuerstelle steht ein Eimer voller Asche, die immer noch glimmt. Offenes Feuer in unseren sich neigenden High-Tech-ICE … vollkommen undenkbar.

Aber jetzt der grosse Vorteil dieses Waggons. Die Fenster des Ganges lassen sich öffnen und ca. 30 Zentimeter nach unten schieben! Freier Blick nach draussen. Was auch sehr nötig ist, da alle Fenster von den bereits zurück gelegten knapp 6000 Kilometern verschmutzt sind und die Landschaft somit beim Blick durchs Glas mit einem Braunfiltereffekt versehen wird. Nicht so im Gang 😀!

Noch ein wenig zum Verlauf der Reise. Der Irkutsker Bahnhof liegt fast unmittebar am Ufer des Stromes Angara. Kurz nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof noch einen letzten Blick auf die schon genannte Staumauer und dann ging es mit einer Kurve in Richtung Berge. Kontinuierlich in kurviger Fahrt ging es durch dichten Wald, durchsetzt mit Datscha-Siedlungen der Irkutsker immer bergan. Der zu überwindende Bergrücken ist für uns SBB-Tessin-Fahrende eher ein Hügel mit 800m und nicht die Gotthard Rampe, aber es fasziniert ähnlich. Richtig höher schlägt das Herz des Eisenbahn-Reisenden, wenn das Platau erreicht ist und hinter den Berghängen derBaikalsee glitzernd sichtbar wird. Nach dem eher spätherbstlichen Wetterprogramm der letzten Tage mag uns jemand wieder und lässt beim kurvenreichen Hinabfahren zum Seeufer den kleinen Ozean in der Sonne schimmern und der blaue, wolkenlose Himmel ist ein wunderbarer Kontrast zu den bunt beleuchteten Mischwäldern.

Am Ufer entlang fahrend bereiten wir uns unser Mittagessen zu. Unser Fladenbrot mit dem geräucherten Käse und der „Touristen-Wurst“ schmecken wunderbar. Im Zug essen ist etwas tolles! Also richtig essen, picknicken, die volle Einkaufstasche auf die Bank stellen und auswählen worauf man Lust hat. Dazu einen klebsüssen Tee und vorbeifliegende Stationsnamen in fremder Schrift und weit, weit weg von zu Hause.

Dann biegt die Bahn vom Ufer des Baikalsees ab und folgt der sich idyllisch in ein Tal eingeschnittenen Selenga. Ein recht breiter Strom mit einer auch beachtlichen Länge von über 1000 Kilometren, von dem ich noch nie gehört habe. Geographie muss man auch erleben. Der Fluss begleitet uns, immer wieder sichtbar, bis in die Mongolei. Ulan Ude unser letzter „richtiger“ Bahnhofshalt auf der Transsib-Strecke liegt am Ufer des Flusses. Der 30 minütige Halt gibt Gelegenheit für unser letztes Moskauer Eis. Diesmal in der Variante ohne Stil und Schokolade aussen herum. Dafür wunderbar in Papier eingepackt (voll nostalgisch) und dann das leckere Eis zwischen 2 Waffelscheiben … ‚Ne echt klebrige Sauerrei, das zu essen. Unmöglich ohne herrlich klebende Finger dabei zu bekommen. Und wieder so einen „wie früher“ Moment erlebt! Während wir unser Eis futtern, bekommt unser Zug eine neue Lok. Bisher zogen uns Elektroloks, nun schnauft an der Spitze unseres Zuges eine kräftige Diesellok. Der Grund: 9 Kilometer hinter der Stadt zweigt unser Zug von der Hauptstrecke der Transsib ab und von da aus geht es einspürig und ohne Elektrifizierung nach Süden.

Jetzt verändert sich die Landschaft schnell. Die Birkenwälder verschwinden, noch sind die Bergrücken mit kurzstiligen Nadelbäumen bewachsen. Aber mit jedem Kilometer werden es weniger bis nur noch eine grosse Grasssteppe vor unserem Fenster zu sehen ist. Schroffe Erhebungen und ein grosser blauer See beleben das Bild. Die Lok raucht und kurvt um See und Berge herum, über Brücken über die Selenga hinweg in Richtung Nauski. Über die Steppe fegt ein Wind, der sich im Zug verfängt und so Windgesänge erzeugt. Ein wenig von Walgesang bis hin zu mächtiger orffscher Chormusik. Dazu der stampfende Rhytmus der Diesellock und das Damdam der Waggons … Wir müssen mal wieder unsere alten „Einstürzende Neubauten“ Platten hören! 😀

Seit nun anderthalb Stunden stehen wir auf dem russischen Grenzbahnhof Nauski und lassen die russischen Zoll- und Ausreiseformularitäten über uns ergehen. Horden von verschiedenst uniformierten Damen und Herren laufen durch den Gang, schauen in unser Abteil und dort in alle Schränke und unter die Sitzbänke und im Gang wird auch noch die Deckenverkleidung geöffnet. Der obligatorische schnüffelnde Schäferhund fehlt natürlich auch nicht. Und leider wieder so einen „wie früher“ Moment erlebt … seien wir dankbar für das einfache Reisen in Europa! Das ganze wird sich dann auf der mongolischen Seite wiederholen 😒 … Beklagen dürfen wir uns aber nicht. Es herrscht keine Willkür und nicht der DDR-Grenzer-Ton; und auch die Kalaschnikows. Unsere Passbeamtin war freundlich, sprach englisch und schnell hatten wir unsere Pässe wieder zurück.

Ich meld mich dann von der mongolischen Seite wieder … Drückt die Daumen, dass es dort nicht stundenlang dauert!

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