Wir stehen auf dem „Marktplatz“ eines kleinen Flecken mitten in der Atacama Wüste. Ein kleiner Fluss hat sich 50 Meter tief in die sonst ebene Wüstenfläche über uns gefressen … ein kleiner Canyon. Oben sahen wir nur Sand und Steine. Hier unten ist es grün. Ein schmales Band Ackerland: 10 Meter links und 10 Meter rechts des Rios sind satt grün mit Obstbäumen, Maispflanzen, Schilf und Sträuchern bedeckt. In der kleinen Siedlung leben dauerhaft ca. 80 Menschen. Der Höhenmesser meiner Uhr zeigt 3000 Höhenmeter über Meeresspiegel an. Gerade haben wir uns die Überreste einer spanischen „Siedlung“ aus dem 16. Jahrhundert angesehen … gestapelte Felsbrocken, Lehmziegel (Adobe) und flache Gründächer. Aber inzwischen sind die Hauptattraktion die dicken Regentropfen, die auf den ausgetrockneten Kiesboden des Marktplatzes von Pukara de Lasana platschen.

Bereits seit den Morgenstunden beobachten wir skeptisch den Himmel. Eine Hälfte des Himmels – in Richtung Süden – ist sonnig hell und wolkenlos. Dagegen ist der Himmel in nördliche Blickrichtung mit dicken, tiefgrauen Wolken verhangen. Die mächtigen Wolken schieben sich über die über 6000 Meter hohen Vulkangipfel von Bolivien her hinüber zu uns nach Chile. Leider lese ich erst jetzt vom „bolivianischen Winter“, der paradoxerweise in den südlichen Sommermonaten für Wolken, Gewitter und sogar Neuschnee in unserer Reiseregion sorgen kann. Zwar donnert und blitzt es ununterbrochen um uns herum, aber die 10 Dorfbewohner auf dem Marktplatz, die auf uns Reisende gewartet haben, freuen sich über den noch leichten Regenfall. Wir schlendern von einem kleinem Stand zum nächsten kleinem Stand und probieren eine leckere Limonade mit einem Heilkraut aus der Region … Rica – Rica. Sehr lecker und erinnert an Verbena.

Wir haben aber scheinbar Glück. Das Gewitter entlädt sich nicht, die Regentropfen werden weniger, der Wind flaut ab und wir beschliessen unseren ursprünglichen Reiseplan wieder aufzugreifen. In den Morgenstunden sind wir in Calama gestartet und haben als erstes den kleinen Ort Chiuchiu besucht. Der Wüstenort thront oberhalb eines kleinen Rinnsals und hat DIE typische Kirche der Region. Die weiss gekalkten Wände der kleinen, wuchtigen Kirche blenden uns in der noch strahlenden Sonne. Der Kirchenbau hebt sich wunderbar gegen den blauen, fast wolkenlosen Himmel ab. Ein grandioses Fotosujet … aber auch ein Besuch der Innenräume der Kirche lohnt sich. Holz ist in der Wüste eine Mangelware und so sind viele “Leichtbauteile“ eben nicht aus Holz, sondern aus dem so anders aussehenden „Holz“ der Kaktuspflanzen, die wir auf unserer Fahrt, tiefer in der Wüste bereits sehen konnten. Mehrere Meter hoch ragen die Kakteen in den Himmel und dienten hier als Baumaterial für Tore und Türen oder Fensterrahmen.


Nach dem Abstecher zu dem kleinen Marktflecken Pukara fahren wir den hohen Vulkanen entgegen. Noch können wir die Doppelspitze der beiden über 6100 Meter hohen Vulkane San Pedro und San Pablo nicht erkennen. Dichte Wolken versperren uns die Sicht auf die Kegelspitze eines der höchsten, aktiven Vulkane. Fast unmerklich sind wir mit unserem Auto immer höher in die Hochebene hinauf „geklettert“. Der Höhenmesser zeigt inzwischen 3400 Höhenmeter an und tatsächlich werde ich recht kurzatmig, wenn ich aus dem Auto aussteige und zügig zu einem geeigneten Fotopunkt laufe. Nach zwei sehr abwechslungsreichen Fahrstunden durch die Wüste erreichen wir das Bergdorf Caspana. Das Steingrau der Wüste weicht wieder einer grünen Oase in einem Flusstal und kleine Häuser schmiegen sich an die aufragenden Bergwände, um ja keinen Quadratmeter des fruchtbaren Bodens im Flusstal zu vergeuden. Im Ort wird Mais und Gemüse angebaut. Die Menschen, die hier oben leben, erinnern uns an die indigene Bevölkerung von Bolivien. Die kleinen Frauen sind in dicke Wolldecken gehüllt und tragen einen dunklen Melonenhut auf dem Kopf. In der Ferne des Dorfes hören wir feiernde Menschen. Aber inzwischen ist der Himmel bedrohlich tiefblau und die zuckenden Blitze kommen wieder näher an uns heran. Die Schotterpiste hier oben in den Bergen war zwar bisher gut zu fahren, aber bang fragen wir uns, was uns erwartet, wenn das Gewitter mit voller Wucht niedergeht. Somit schnell noch ein paar Bilder vom Vulkan und zurück geht es nach Calama.





Unsere Entscheidung zur schnellen Umkehr erweist sich in den Abend- und Nachtstunden als sehr richtig. Wir fahren mit der bedrohlichen Gewitterfront im Nacken wieder hinab nach Calama auf 2500 Meter. Kaum haben wir unsere Unterkunft erreicht, prasselt der Regen auf die Wüste nieder. Vor der Eingangstür zu unserem Zimmer liegen bereits 3 Sandsäcke, die eigentlich verhindern sollen, dass Wasser in unser Zimmer eindringen kann. Aber gegen 2 Uhr Nachts wirft uns ein lauter Knall förmlich aus den Betten. Nur die unaufhörlich zuckenden Blitze erhellen die Umgebung. Irgendwo ist ein Blitz eingeschlagen und hat die Elektroversorgung der Stadt lahm gelegt. Ich steige aus dem Bett und stehe mit den Füssen im Wasser. Die Säcke halten den Regenmassen nicht stand und das Wasser „flutet“ den Boden unserer Unterkunft. Wir „retten“ unsere Reisetaschen, stellen diese auf höhere Plätze und versuchen zu schlafen. Mit der schwindenden Nacht endet auch das Gewitter. Der Himmel reisst vollständig auf und die Sonne brennt wieder kräftig auf Calama und die umgebende Wüste nieder.

Also brechen wir optimistisch gestimmt zu unserem nördlichsten Reiseziel und letzten Wendepunkt unserer Chile Reise auf. Eine schnurgerade, gut geteerte Strasse führt uns aus Calama hinaus und San Pedro de Atacama entgegen. Die Strasse steigt wie am Tag zuvor kaum merklich bis auf 3400 Meter an. Ein solch hohen Pass haben wir bisher nur in Kirgistan überfahren. Als wir die Passhöhe erreicht haben, bietet sich uns ein grandioses Panorama. Vor uns fällt die Bergkette steil in ein Becken ab. Uns gegenüber erheben sich mindestens 4 Vulkane, markieren den Rand der eingeschlossenen Hochebene. Die Anden sind in dieser Region ein echter Feuergürtel und bilden eine Barriere, natürliche Grenze zu Bolivien und Argentinien. Wir blicken auf den perfekten Kegel des Licancabur Vulkans und rollen den Vulkanen und dem Ort San Pedro de Atacama entgegen.

Der Ort San Pedro de Atacama erwischt uns dann „auf dem falschen Fuss“. Vielleicht sind die letzten anstrengenden Tage mit Reifenpanne, Reiseumplanung, einem nicht mehr so ganz bekömmlichen Ceviche und einer schlaflosen Gewitternacht Mitschuld … aber es gefällt uns nicht im Ort. Unsere Unterkunft ist wunderbar. Eine Oase in einem turbulenten Touristenort. San Pedro ist klein, zwei sandige Strassen in östliche Richtung kreuzen zwei genauso sandige schmale Wege in südliche Richtung. Die Strassen werden gesäumt von einstöckigen Adobe Gebäude, in denen aber keine San Pedroer wohnen, sondern sich Guesthouse an Hotel, Pizza Restaurant an Ladengeschäfte mit Anbietern von Touren oder Souvenirs reihen. Durch die Strassen zieht das übliche Reisevolk und die Angestellten der Tourenanbieter oder der Restaurants versuchen sich gegenseitig potentielle Kunden abzuluchsen. Klar … hier ist ein Ort, wo viele Menschen, inklusive uns hinwollen und wir sind ein Teil dieses Reisevolks. Aber schön ist es nur bedingt. Hinzu kommt, dass das Gewitter der letzten Nacht dem Ort arg zugesetzt hat. Die Wege sind schlammig und rissig. Es stinkt nach Hundekot und bei den riesigen Pfützen ist es ungewiss, ob unser Auto darin nicht komplett verschwindet.


Wir entschliessen uns, die Tourenanbieter links liegen zu lassen und auf eigene Faust die nähere Gegend zu erkunden. Das Team unseres Hotels ist sehr hilfreich … aber leider haben sie auf unsere Fragen, ob wir diesen oder jenen Ort besuchen können meist die Antwort: Aufgrund der schlechten Wetterbedingungen geschlossen. Wir improvisieren und machen das bestmögliche aus der Situation. Wir rollen los und schauen, was geht:
- wir besuchen die Mondlandschaft des Valle de la Luna



- Fahren durch die nahezu unendliche Weite der Atacamawüste


- machen wieder ein Foto am Wendekreis des Steinbocks, dieses mal nicht in Afrika sondern etwas südlicher 😉

- besuchen schnell den Salzsee der Lagune Chaxa und seine Flamigos … bevor das nächste Gewitter über uns niedergeht.



Unseren letzten Tag in San Pedro nutzen wir für einen Ausflug zu den nördlich vom Ort gelegenen Geysiren del Tatio. Unsere Reiseliteratur empfiehlt einen frühen Aufbruch … so gegen 4 Uhr in der Früh sollte man starten. Wir haben dazu keine Lust und vorallem ist es ist zu unsicher, mitten in der Nacht, bei absoluter Dunkelheit auf einer uns unbekannten Route zu fahren. Also frühstücken wir gemütlich um 7 Uhr und fahren mit dem Sonnenaufgang in die Berge.
Zuerst kommen wir auf einer guten Schotterpiste schnell voran. Aber bereits nach 20 Kilometern beginnt der Aufstieg in die Berge. Die Gravelroute hat durch den Regen der beiden letzten Nächte sehr gelitten. Das Wasser hat tiefe Furchen in die „Strasse“ gegraben und wir kämpfen uns langsam aber stetig die steilen Passagen nach oben. Jeder knifflige Anstieg wird dann aber mit einem grandiosen Ausblick belohnt. Rechts neben der Piste ragen 2 Vulkane steil auf. Wir durchfahren 2 kleine Dörfer mit wenigen, kleinen Hütten. Inzwischen haben wir die 4000 Höhenmeter erreicht und ein dauerhaftes Leben in diesen Siedlungen, muss eine sehr harte Angelegenheit sein.

An einem kleinen See entdecken wir mehr Flamingos, als an der Lagune de Chaxa am Tag zuvor. Wir sind fast allein auf der Piste unterwegs. Ein Kleinwagen haben wir vor einiger Zeit überholt und „abgehangen“ … nun begleiten uns einige Vikunias, kleine wilde Anden Kamele, deren Geschwister, die Guanacos, wir bereits in den südlichen Anden kennenlernten. Die wilden Tiere leben oberhalb von 4000 Metern in kleinen Verbänden und sollen eine feinere Wolle als die Kaschmirschafe des Tibets haben. Ein Muttertier mit einem Jungen quert gemächlich unsere Schotterpiste.

Als wir 4200 Höhenmeter erreicht haben ist nicht nur die Wüste links und rechts mit Neuschnee bedeckt, auch die Piste ist eingeschneit und wir rutschen vorsichtig die letzten Kilometer und Höhenmeter unserem Ziel entgegen. Angekommen bei den Geysiren wählen wir den Spruch: „Der Weg ist das Ziel“ zum Tagesmotto … mit uns hat ein Jeep das Ende der Piste erreicht und wir stehen zusammen vor einem heruntergelassenem Schlagbaum … Geschlossen, aufgrund der schlechten Wetterbedingungen! Der anwesende Wachmann (cooler Job auf 4400 Meterb über Meer und 140 Schotterpisten Kilometer von der nächsten ernstzunehmenden Siedlung entfernt) lässt uns zu Fuss an den Rand des geothermischen Feldes laufen und wir können aus der Ferne den aufsteigenden Wasserdampf der heissen Geysire bewundern.



Bevor die heute recht hinterhältig, kräftig scheinende Sonne unsere Piste in ein unüberwindbares Schlammloch verwandelt, drehen wir um und sind nach 2 Stunden Bergabfahrt wieder zurück in San Pedro. Wir haben auf der Rückfahrt noch das Glück, einen kleinen Wüstenfuchs zu beobachten und stolze Alpakas versperren kurz die Weiterfahrt. Erschöpft gönnen wir uns einen ruhigen Nachmittag in unserer Oase und stürzen uns am Abend ins „Nachtleben“ von San Pedro. Am nächsten Morgen geht es zurück nach Santiago … zum Glück fliegen wir die 1600 Kilometer. Obwohl Glück etwas ambivalent ist … die hohen Gewitterwolken sind zurück und rütteln ordentlich die erste Flugstunde an unserem LATAM Airbus. Eben, ein wüstes Gewitter!

