Reifenwechsel in der Wüste

In dem Moment, als ich den gut vernehmbaren Knall und das darauf folgende zischende Geräusch vernommen hatte, war mir klar, dieser Reiseplan war dann doch etwas zu ambitioniert. Nun rollen wir zum zweiten Mal auf dieser Reise „fusslahm“ langsam aus und suchen uns einen möglichst ebenen Platz im Schotterfeld neben der Strasse von Antofagasta nach Calama im Norden Chiles. Die Fahrt bis hier her war schon nervenaufreibend. Mit uns auf der nur einspurig durch die Steinwüste führende Strasse sind grosse, schwere Lastwagen unterwegs. Obwohl wir leicht über den erlaubten 90 km/h unterwegs sind, rollen die Lastwagen mit ihren breiten Schnauzen bedenklich dicht an uns heran und scheuchen uns mit Lichthupe. Bereits wurden wir mehrfach von diesen Ungetümen überholt. Und einer dieser Lastwagen muss die dicke Schraube verloren haben, die nun unseren Hinterreifen perforiert hat.

Der breite Reifen an unserem SUV chinesischer Bauart (wir wollten den Panzer nicht, aber nur dieses Fahrzeug war verfügbar) ist zwar schnell am Strassenrand gewechselt. Aber der Ersatzreifen ist schmal wie ein Fahrrad-Reifen (ich übertreibe) und als Notreifen maximal für die 60 Kilometer bis in die Bergbaustadt Calama tauglich … weiter bis zu unserem eigentlichen Ziel, San Pedro de Atacama, kommen wir damit garantiert nicht. Somit beginnt eine kleine Odyssee von Werkstatt zu „Werkstatt“ zu Reifenhändler … und alle zucken mit den Schultern: Solch einen breiten Reifen haben sie nicht, können ihn auch nicht bestellen und reparieren geht auch nicht. Mit anderen Worten … wir sitzen fest am A … der Welt. Zeit um Rückblick auf die letzten Tage zu halten und zuversichtlich auf eine Lösung warten.

Faro Leuchtturm am Strand von La Serena

In den Norden sind wir vor 6 Tagen von Santiago aufgebrochen. Wir rollen optimistisch unserem 1600 Kilometer entfernten Ziel, der Atacama Wüste auf der breiten, zweispurigen Pan Americana entgegen. Wir haben die lange Strecke in 4 Etappen aufgeteilt und haben so die Zeit unterwegs den „kleinen Norden“ Chiles kennenzulernen. Unseren ersten Stopp, die Stadt La Serena erreichen wir nach rund 500 Kilometern. Hier bleiben wir 2 volle Tage um am Pazifik Strand uns den Wind um die Nase wehen zu lassen und vor allem um das nahe gelegene Elqui Tal erkunden zu können.

Das Valle del Elqui gehört unbedingt auf die Liste, wenn Du Chile besuchst. Bereits die Anfahrt ins Tal ist ein Erlebnis. Man verlässt die recht schmutzigen Aussenbezirke von La Serena und langsam steigt die Strasse an, den noch knapp 70 Kilometer entfernten Bergen entgegen. Diese Berge sind wie die Landschaft links und rechts der Landstrasse eine graue Steinwüste mit verdorrten Sträuchern gefleckt. Je höher die Strasse sich windet, um so enger wird das Tal und plötzlich weicht sattes Grün am Talboden dem bisherigen Steingrau. Die Hänge der Berge sind immer noch fast frei von Vegetation, aber links und rechts eines kleinen Flüsschens wächst auf dem schmalen fruchtbaren Talgrund Wein und anderes Obst.

Wir fahren auf einer kurvenreichen Strasse mit wunderbaren Tiefblick auf die voll von Weinreben bestandenen Felder dem Hauptort des Tales und einem der Gründe unseres Besuches entgegen. In Pisco Elqui wollen wir einen Produzenten des Pisco besuchen. Der Brand aus Traubenmost (eine Art Grappa?) begleitet uns bereits auf der gesamten Reise. Ein fast jeden Abend gepflegtes Ritual ist es, einen Pisco Sour zu trinken. Und der schmeckt immer anders. Wir mögen diesen frischen, süss sauren Cocktail. Im Elqui Tal lebte und arbeitete Gabriela Mistral. Sie war 1945 die erste lateinamerikanische Dichterin, die mit dem Literatur Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Wir spazieren an einer kleinen Schule vorbei, in der sie unterrichtete und entscheiden uns für den Besuch der Brennerei „Mistral“. Zur Pisco Brennerei gehört ein gutes Restaurant und wir geniessen im Schatten mit Blick ins grüne Tal einen sehr gut zubereiteten Pisco Sour. Der anschliessende Abend im Hostal bleibt dann literarisch. Wir lernen ein internationales Paar kennen. Nadija hat ihre Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien und Deutschland. Jaime ist Chilene und Professor für englische Literatur in Valparaiso. Und er klärt uns auf … Gabriela Mistral ist für Kinder. Wir müssen Pablo Neruda lesen. Jaime rezitiert aus „20 Liebesgedichte und ein Lied der Verzweiflung“ auf Spanisch und Nadija muss für uns ins Deutsche übersetzen. Ein toller weinselliger Abend mit vielen Infos zu den aufregenden Jahren für Chile (Pinochet Diktatur, Unruhen 2019, 3 Jahre Corona …)

Pisco Elqui
Mural von Gabriela Mistral

Der zweite Grund, warum das Elqui Tal sofort auf unserer Chile Reiseliste fest gesetzt war, sind die Sterne. In La Serena ist es gerade grau und windig. Der Wind vom Pazifik bläst die Wolken gegen die nahe gelegene Bergkette. Sobald wir dann aber wenige Kilometer ins Tal hineingefahren sind, reisst der Himmel auf und die Sonne strahlt ungehindert auf den Wein. Und das 360 Tage im Jahr. Das ist gut für den Wein und super, um Sterne zu beobachten. Dachten sich weltweit viele Astronomen, so dass wir an vielen Observatorien, einige davon die weltweit grössten ihrer Art, vorbei fahren. Sterne gucken wollen wir auch.

… näher kamen wir nicht heran, an die grossen Sternwarten.

Wir buchen uns bei einer guten Agentur in La Serena für unseren zweiten Abend in der Gegend eine astronomische Tour inklusive Astro Fotografie. Um 20 Uhr starten wir mit einem kleinen Mercedes Transporter ins Tal … die 100 Kilometer Bergfahrt sind eine spezielle Erfahrung. Manche Chilenen halten sich für Formel-1 Piloten und fahren ihre Kleinwagen, Pick-ups, Kleinbusse und LKWs wie Rennwagen. Erleichtert steigen wir nach anderthalb Stunden aus dem Bus und befinden uns auf einem vom Mond gut beleuchteten Hochplateau. Mist – Mondlicht und Sterne gucken plus fotografieren verträgt sich eigentlich ganz schlecht.

Aber hier oben, fern von grösseren Lichtverschmutzern ist es trotz Mondlicht dunkel – richtig dunkel. Wir sind mit ca. 15 Chilenen und zwei jungen deutschen Frauen Gast bei einem privat geführten Sternwarte. Das Observatorium ist ein ebener Platz, auf dem insgesamt 4 unterschiedlich grosse Teleskope (sind das Ferngläser oder Spiegel?) aufgebaut sind. Wir vier Ausländer bekommen unseren eigenen, englischsprachigen Guide und kommen nicht mehr aus dem Staunen heraus. Fachkundig richtet der Astronom das Teleskop auf den Mond und wir können die Mondkrater so deutlich sehen, wie nie zuvor (@Martin: Weder Mondkälber noch Sandmännchen in der Rakete wollten sich in dieser Nacht blicken lassen – Pech!). Dann folgen die erdnahen Planeten … Mars ist an diesem Abend unmittelbar neben dem Mond. Jupiter mit seiner bunten, streifenförmigen Atmosphäre haben wir noch nie durch ein Teleskop gesehen.

Dann wenden wir unsere Aufmerksamkeit den Sternbildern zu … erkunden die Sterne des Orions, des Kreuz des Südens, lernen die Daumenregel für das Navigieren (und wissen damit mehr als Magellan 😉) und sehen die 6 Sterne der Plejaden (eigentlich 7 Schwestern, aber zu sehen sind nur 6) Mich begeistert der Blick auf die Sterne des Orion Gürtel. Das sind nicht einzelne Sterne. Im Teleskop sehe ich eine blaue Wolke am Sternenhimmel. Und nach den Sternen folgen die Galaxien. Unsere Milchstrasse wölbt sich gut sichtbar über uns. Magellan begleitet uns auf unserer Reise … zum Schluss erblicken wir die 160 000 Lichtjahre entfernte Magellanschen Wolken, zwei Zwerggalaxien im Süden des Nachthimmels. Zum fotografieren komm ich auch noch … so dass wir erst gegen halb zwei am nächsten frühen Morgen, müde aber glücklich ins Bett in unserem Hostel sinken.

Wir verlassen La Serena und wollen noch das volle Pazifik Programm. Daher nutzen wir für die nächsten 450 Kilometer nicht die Panamericana, sondern fahren auf schmalen Küstenstrassen dem chilenischen Badeort Bahia Inglesia entgegen. Der erste Pfad zu einem Strand war dann doch zu ambitioniert gewählt (siehe oben) … nach 100 Metern stecken wir im losen, tiefen Sand fest. Ich laufe zur Strasse zurück und nach nur 10 Minuten kommt tatsächlich ein Auto vorbei. Das chilenische Paar im altersschwachen Ford Pick-up verstehen zwar nicht, was ich auf englisch erkläre, sehen aber unsere Misere und helfen uns tatkräftig. Mit einer Schaufel, gefundenen Sandbleche ersetzende Pappen und einem Abschleppseil ziehen wir unseren China Panzer wieder Stück für Stück aus dem Sand.

… wieder rausgezogen 😉
Süsse Empanadas am Strassenrand als Zwischenverpflegung
saure Kaktusfrüchte eher nicht … 😣
Humitas vom Strassenrand (im Maisblatt gedämpfter Maisbrei … echt lecker)

Bahia Inglesia ist der erste echte Badeort, in dem wir hier am Pazifik sind. Eine schützende Bucht sorgt normalerweise dafür, dass man sich im Ozean abkühlen kann. Heute weht aber eine rote Fahne am Rettungsturm und die Rettungsschwimmer pfeifen jeden zurück, der sich doch in die Wellen wagen will. Der Strand ist aber auch zum spazieren schön. Die Bucht säumen recht provisorisch aussehende Gebäude und in einem von diesem dürfen wir mit dem Rauschen des Ozeans in den Ohren einschlafen.

Unsere forderndste Etappe durch die trockenste Wüste der Erde steht uns allerdings noch bevor. Vom Badeort fahren wir zuerst in einem munteren Auf und Ab am Pazifik entlang. Das Auto klettert mit uns steile, serpentinenreiche Strassen hinauf, um dann vom Pass wieder dem Ozean entgegen zu rollen. Nach ca. 100 Kilometern knickt die Panamerecana dann vom Meer weg und es geht für 400 Kilometer durch die Atacama Wüste. Zuerst ist die durchfahrene Landschaft noch abwechslungsreich. Sanddünen rechts, schroff aufragende Berge der Küstenkordilleren links der Strasse. Dann, auf der Hochebene auf 1000 Meter Höhe angekommen wird es langweilig … eine vegetationslose Steinwüste. Schnurgerade zieht sich die Ruta 5 auf 100 Kilometern entlang. Dann eine kleine Kurve und weiter geht es für 100 Kilometer. Glücklicherweise sind weniger Lastwagen unterwegs, aber jedes Überholen hat seine unsicheren Momente … war da in der gleissenden Ferne wirklich kein entgegenkommender Verkehr und wird der nur am Berg langsame LKW die Spur halten. Schweisperlen haben wir nicht nur wegen der erbarmungslos strahlenden Sonne auf der Stirn.

Kurz vor unserem Etappenziel, Antofagasta erreichen wir eine skurrile Skulptur mitten in der Wüste. 100 Meter neben der Strasse hat ein chilenischer Künstler ein Kunstwerk errichtet. Eine riesige Hand ragt, bestimmt über 5 Meter hoch, aus der Wüste. Ein willkommener Stopp! Zu Antofagasta lässt sich nicht viel schreiben … modern, reich, aber gesichtslos. Vorn der Pazifik – hinten die Wüste mit unzähligen Kupfer und Nitrat Minen. Wir nutzen den nächsten Morgen um ein Bauwerk zu besuchen, dass aussieht, als ob hier die Orks aus Mordor am Werke waren. Eine Ruine einer alten Salpeter Anlage, aufgegeben und nun Architekturdenkmal und Museum.

Und nun sitzen wir im noch trostloseren Calama mitten in der Wüste fest. Die Stadt lebt von der benachbarten grössten Kupfermine der Welt. 1000 Meter tief haben sich die Bergleute in einem Tagebau in die Erde gefressen, um Kupfer an die Oberfläche zu fördern. Ringsum uns herum ist die Erde aufgewühlt und terrassenförmig der Abraum zu hohen Bergen angewachsen. Aber die Stadt ist das Tor zum touristisch erschlossenen Bereich der Atacama Wüste. Das heisst, hier hat es einen grösseren Regional Flughafen mit Autovermietern. Unser chinesischer SUV geht mit einem Abschlepper zurück und wir setzen mit einem VW unsere Reise fort …

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