Endlich sich spüren …

Kurz vor 5 Uhr! Es klopft! Wo bist Du? Schlaftrunkend sortierst Du! Mitten im Nichts in der Jurte! Es klopft immer noch! Aufstehen und Nachsehen? Was soll hier schon passieren! Es ist so kalt. Und es klopft immer noch …

Vor der Jurte steht ein Mädchen mit einer grossen Kiste Anfeuerholz, schiebt sich an mir vorbei zum Ofen und beginnt diesen anzuheizen. Wenn ich schon einmal aus dem Bett bin, nutze ich die Gelegenheit mir die Füsse unter dem Sternenhimmel zu vertreten – zwangsläufig, um zum gut 50 Meter entfernten Plumpsklo zu kommen. Das Sternenfirnament hat sich verändert. Die Welt unter der Milchstrasse weitergedreht und im Süden ist unser Lieblingsgestirn, der Orion aufgegangen. Fast erkennt man das einprägsame Sternenbild nicht. Der Gürtel ist schnell gefunden, aber dann diese bisher unbekannte Unendlichkeit an  anderen Sternen. Je länger ich in den Himmel blicke, umso mehr Sterne werden erkennbar. Schnell wieder in die warme Jurte zurück kriechen, Conny davon erzählen und noch etwas schlafen …

Unser Tag beginnt mit einer Katzenwäsche kurz vor 9 Uhr. Das Frühstück in der grossen Jurte ist erster Höhepunkt. Frischer french press Kaffee, geröstetes Weissbrot, mongolischer Käse und Marmelade. Was braucht es mehr an Luxus! Am Abend zuvor haben wir bereits mit der Chefin der grossen Jurte das Programm für heute festgelegt: Kayaking am Vormittag, Relaxen am Nachmittag. Ich hebe mir den dramatischeren Teil (Ja, es ist der Teil mit dem Kayak) bis zum Ende auf und berichte zuvor noch etwas über das Camp!

Inzwischen sind wir fast allein hier. Durften aber zuvor in der grossen Jurte und vor unseren Unterkünften eine bunte Mischung an Reisenden durch die Mongolei kennenlernen. Noch sind die beiden Jurten neben uns bewohnt – die Saison geht zu Ende und wir sind vermutlich die letzten Gäste, bevor das Camp für 8 Monate im Winterschlaf versinkt. Kurzer Einschub mit einer  mich beeindruckenden Information aus einem unserer Gespräche hier: Im Januar beträgt die Tagesdurchschnittstemperatur in diesem Tal -27 Grad Celsius!

Im Ger neben uns wohnen 2 Niederländer. Calhal und Rosanne nehmen sich für die Tour von Moskau nach Peking etwas mehr Zeit – 8 Monate. Sie haben damit mehr Zeit für Zwischenstopps und besuchten in Russland die Städte links und rechts der Transsib. Dabei wohnten Sie in Wohnungen und Zimmern, gebucht über Airbnb. Ihre Erfahrungen klangen spannend – dicht dran am russischen Leben mit allen Hochs (Herzlichkeit) und Tiefs (kein Strom, kein warmes Wasser …). Die benachtbarte Jurte bewohnt ein allein reisender Mann. Er spricht nicht, verschwindet am Morgen mit seinem Fernglas in der Tundra und kommt erst mit der untergehenden Sonne wieder. Er wirkt militärisch streng und weniger  touristisch interessiert. Aber wir werden vermutlich nichts über ihn erfahren.

Die letzten Tage war das Camp voll besetzt mit interessanten Menschen:

  • Schweizer? Die für uns ostschweizerisch klingende Unterhaltung führten 3 Damen aus Lichtenstein. Wir erfuhren von Ihnen, dass die Mongolei das jüngste Mitglied der OSZE ist, die Damen Lichtensteiner Parlamentarier sind und eine Konferenz der OSZE in Ulan Bator nach Ihrer Abreise aus dem Camp besuchen werden.
  • Eine Gruppe englischer Ornithologen!  Die älteren Herrschaften sitzen am Abend zusammen, der Gruppenleiter in Front zu Ihnen und dann werden Listen mit den gesichteten Vögeln des zurückliegenden Tages durchgegangen. Der Vorsitzende ruft einen Vogel auf und wer diesen ebenfalls auf seiner Liste hat bekundet dies – so ne Art Vogel-Bingo-Lotto 😀
  • 3 Italiener, die beiden Herren aus Florenz, die Dame aus Rom … Bringen italienisches Leben in die Jurte mit lautstarker Unterhaltung und entweder einer Flasche Rotwein oder / und einer Flasche mongolischem Wodka … nett und einer der Herrn ist mit einer Berlinerin verheiratet und sprach sehr gut deutsch mit uns.
  • 2 nette Damen aus Norwegen. Marianne führt ein Reisebüro in Oslo und sucht nach neuen Destinationen für ihre Kunden. Zusammen mit ihr und ihrer Begleitung übten wir mit dem mongolischen Bogen auf ein felliges Ziel zu schiessen, mit Wirbelknochen zwei mongolische Würfelspiele erlernen und konnten zum Schluss gestern eine der Normaden Familien in ihrer Jurte besuchen.
  • Die lustige schwedische Reisegruppe. Alle im Pensionsalter und voll aktiv 2Tage hier unterwegs, inklusive Rafting auf dem Fluss in unserem Tal. Einer der Herren setzte sich gestern Abend an unseren Tisch und nutzte die Gelegenheit sein vor 50 Jahren in der Schule gelerntes Deutsch anzuwenden. Wir sprachen unter anderem über Hans Falladas „Kleiner Mann was nun“ …

Muss man aktiv hier sein? Meist reicht es mit dem einfachen Holzschemel vor der Jurte zu sitzen und den Landschaftskanal in Superbreitwand und 3D zu sehen. Die Wolken sorgen für Dramatik am Himmel und ständige Farbwechsel im Tal und den Hängen. Unsere Umgebung wirkt wie ein hochalpines Tal bei uns zu Hause, etwas breiter und länger und unser Bergbach ist hier ein richtiger Fluss. Die Normaden Familie unterhalb unseres Plataus lebt in diesem Tal mit ihren Viehherden. Ihre Jurten wandern bis zu 12 mal im Jahr durchs Tal. Im Umkreis von ca. 20 Kilometer finden sie ihre Sommerquartiere näher am Fluss und den Platz zum Überwintern windgeschützter an einem der nach Süden ausgerichteten Berghänge. Erfährt man alles wenn man doch aktiv wird und mit einem Führer der mongolisch-englisch übersetzen kann die Familie besucht.

Natürlich haben wir uns von Süden der Jurte genährt, laut rufend uns angekündigt, uns von den beiden flauschig, grossen Wachhunden beschnuppern lassen und nicht die Schwelle berührt beim Betreten der Jurte. Unsere multikulturelle Kompetenz wird immer grösser. Wir sitzen unseren mongolischen Gastgebern auf einem der beiden Betten in der Jurte gegenüber und schlürfen aus einer Schale gesalzenen Milchtee und knabbern Brotstücke und einen säuerlich süss schmeckenden Käse, der am ehesten an Parmesan erinnert. Der Papa, bekleidet mit dem traditionellen Mantel, Deel, ist fast zu klischeehaft mit einem Pferd zur Jurte gespurtet gekommen. Dabei saß er locker, leicht seitlich im Sattel. Die Mama versorgte uns alle mit Tee und ihren Mann mit seinem späten Mittagessen. Die zweijährige Tochter, Schingil lag erst noch müde auf dem Bett bei den beiden Katzen aber unsere Schokolade und fast mehr noch die Dose Coca Cola brachen das Eis und zutraulich spazierte sie dann an der Hand von Conny zur Pferdeherde. Wir durften beim Melken der Stuten zusehen und zum Abschied, leicht darüber pustent aus einer Schale von der vergorenen Stutenmilch probieren. Schmeckt nicht schlecht, spritzig und erfrischend und erinnert etwas an Ayran.

Das Leben in der Jurte der besuchten Familie ist ein sehr einfaches. Alles was im Kreisrund der Jurte direkt auf dem Grasboden der Steppe steht, ist der komplette Hausrat und Vorrat der Familie. Gleich links neben dem Eingang befand sich der kleine Waschtisch, die Zahnbürsten klemmten im Eingeweide der Jurte. Daneben stand ein Bett, auf dessen Überwurf wir zu viert Platz nahmen. Links neben uns stand ein zusammengerollter Teppich, vermutlich Schlafplatz für die kleine Tochter. Danach folgte ein kleines, sehr einfaches Spiegelschränkchen mit 7 buddhistischen Symbolen, unter anderem einem aus buntem Stoff, mit Goldfäden verzierten Säckchen, das Kostbarkeiten und Süßigkeiten der Familie enthält. Das Säckchen war nicht ganz zugeschnürt, damit das Glück hineinfließen kann und der Familie erhalten bleibt. Darunter  befindet sich bei allen Nomaden der „Giftschrank“ für die Süssigkeiten für besondere Tage. Daneben stand das zweite Bett, neben dem sich einige Pappkartons mit Vorräten und wenigen Kleidern auftürmten und die Schale für die Quarkherstellung stand. Und schon war die Runde in der Jurte fertig! In der Mitte befand sich ein farbiges kleines Tischchen mit zwei bunten Schemeln und davor der Ofen, der gleichzeitig auch als Kochherd dient. An den Wänden hingen zwei kleine Jacken von Schingil und das war’s. Mehr nicht. Unsere Jurte, in der wir gerade leben, ist um einiges größer und komfortabler! Trotz allem- die drei machten in ihrer Einfachheit einen glücklichen und zufriedenen Eindruck. Allein, wie sie miteinander, aber auch mit ihren Tieren umgehen, erschien uns sehr ausgeglichen. Selbst beim Melken der Stuten sang der Papa den Fohlen zur Beruhigung ein Lied vor.

So nun das Kayaking zum Schluss! Die Chefin der grossen Jurte (mongolische Namen merken sich noch etwas schwer) fragte uns gestern Abend noch, ob wir mit einem Kajak Erfahrung hätten und schwimmen könnten. Die erste Frage können wir mittlerweile mit „JA!!!“ beantworten und warum Schwimmkenntnisse erforderlich sind, wissen wir nun auch 😊 …  Nach dem Frühstück zogen wir mit einer voll beladenen Yak-Karre, einem noch etwas störrischem Yak und drei wild aussehenden  mongolischen Gesellen flussaufwärts. Über eine Stunde wanderten wir ins sich verengende Tal, bis wir eine passende Stelle zum Inswasserlassen unserer Boote fanden. Für Conny und mich war ein aufblasbares Kajak vorgesehen und zwei unserer Begleiter kamen auf einem aufblasbaren russischen Katamaran zum Wildwasser-Rafting mit uns mit. Beim Aufpumpen der Boote lernten wir zumindest einen unser Führer besser kennen. Er sprach etwas russisch und stammte wie der Katamaran aus Sankt Petersburg oder Leningrad, wie er sagte. Warum ein offensichtlicher Mongole Leningrad als Geburtsstadt hat, war dann nicht mehr herauszubekommen … Der Fluss wartete auf uns!

Einen super Start legten wir hin. Ins Wasser geschoben und schon ging es Paddel links und rechts eintauchend voran. Das Wasser war ausreichend tief, ruhig und unglaublich klar, so dass jeder Stein auf dem Boden in seiner Struktur erkennbar war. Gemächliches Dahingleiten! Dann wurde das Wasser welliger, krüseliger und unser kleines flaches Boot gewann an Fahrt und machte eigentlich, was es wollte und weniger was wir wollten. Entweder kam das steile Ufer immer näher oder wir drehten uns walzergleich in der Flussmitte. Eine kurze Unaufmerksamkeit und Conny und ich hingen in einer in den Fluss ragenden Birke fest. Die starke Strömung lies sofort das Boot voll mit Wasser laufen. Wir kletterten beide nass in die Birke, zogen das Boot nach und bestätigten unserem russisch sprechendem Begleiter, dass alles „choroscho“ gut ist und wir keinesfalls nun auf ihrem Katamaran mitfahren wollten. Aufstehen! Krone zurecht rücken! Und weiter ging es. Die nächsten Stromschnellen und Kurven meisterten wir dann auch viel besser. Bis die enge Stelle kam! Rechts die untiefe Kiesbank links die scharfe Kurve unter den Birken. Wieder wurden wir zum Spielball der Strömung und ins Geäst getrieben. Das Wasser schwappte sofort über die Seitenwand und warf zuerst Conny aus dem Kajak und dann drehte sich das Boot mit mir unter Wasser. Beide bekamen wir doch ordentlich Panik! Conny wurde vom Strom mitgerissen und schlug mit dem Kopf gegen die grossen Äste und ich war kurz unter dem Boot und spürte die Strömung an mir zerren. Auftauchen! Nach Conny suchen – die wurde von unseren Begleitern aus dem Wasser gefischt und konnte sich auf den Katamaran retten. Für mich hieß es Boot schnappen und zur Kiesbank schwimmen. Klitschnass, frierend und erschrocken standen wir dann bei einsetzendem Regen auf dem Kies und unsere beiden Begleiter drehten sich erstmal eine Zigarette. Was für ein Abenteuer. Die letzten Kilometer auf dem Fluss hatten wir dann unseren Kajak aber voll im Griff, wussten wo entlang fahren und was machen, damit das Boot auch in die gewünschte Richtung fuhr. Gelernt auf die harte Art! Als Andenken für die nächsten Tage nimmt Conny eine dicke blaue Beule an der Stirn mit 😉

Dann kam das Yak und unsere Karre in Sicht und wir landeten professionell auf der Sandbank an. Flotschnass gingen wir beide barfüssig in der Mittagssonne durch das vertrocknete Steppengras zurück zu unserer Jurte und Conny sagte: „Ich spüre mich!“

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