Wüste Gobi 1. Klasse

Es ist unerträglich heiss und stickig! Seit über 2 Stunden steht der Zug am mongolischen Grenzbahnhof Zamin Uud mitten in der Wüste Gobi. Die Ausreiseformularitäten waren recht schnell in knapp einer Stunde erledigt. Seit dem passiert gar nichts mehr. Dem Ventilator fehlt der Strom um kreisend wenigstens die warme Luft zu bewegen. Wir zwängen den Kopf durch den schmalen Spalt der wenigen Fenster im Gang vor unserem Abteil die sich etwas öffnen lassen um frische Luft zu bekommen. Ansonsten: Schmoren im eigenen Saft. Die Luft ist dünn. Völlige Ignoranz an der Befindlichkeit der Reisenden im Zug. Irgendwelche Prozesse laufen vermutlich, die die Weiterfahrt des Zuges oder zumindest die ausreichende Versorgung mit Strom für die „Klimaanlage“ verhindern. Wir wissen nichts und der chinesische Schaffner ist nicht zu sehen. Wir sitzen in unseren Abteilen gefangen, das WC ist seit 3 Stunden verschlossen und hoffen darauf, dass mit einem Ruck der Zug sich in Richtung China bewegt. Eigentlich eine gefährliche Mischung, aber alle erdulden es kaum schimpfend in Ihren Abteilen und auf dem Gang – Schicksalsgemeinschaft.

Die nächsten 10 Kilometer sind geschafft. Nun stehen wir im chinesischen Grenzbahnhof Erilan. Hier ist alles estwas grösser als auf der mongolischen Seite. Das Bahnhofsgebäude ist ein kleiner Monumentalbau und mit Neonlicht wechselnd bunt illuminiert. Vor jedem Waggon-Eingang hat sich ein Uniformierter positioniert. Vor unserem Wagen steht eine kleine, junge Frau in einigermaßen strammer Haltung. Ständig zupft sie an ihrer grünen Uniform herum oder setzt ihre Dienstmütze mit dem grossen Schild neu auf. Langweilige Aufgabe, eine Tür zu bewachen, durch die niemand kommt. Der Bahnhof wird mit Musik beschallt – klassisch oder chinesisch volkstümlich klimpert es polyphon aus den grossen Boxen. Unsere Pässe wurden mit knappen Anweisungen „Passport!“ eingesammelt und dann verschwanden die Beamten mit ihren DDR-Grenzbeamten-Aktenkoffern wieder. Und wir müssen wieder warten. Die Luft steht immer noch warm und unbewegt in unserem Abteil.

Gestartet sind wir heute morgen früh um 6 Uhr in unserem Appartment auf Zeit. Unser airbnb Gastgeber Tsolmon war so freundlich, uns mit unserem Gepäck in seinem Auto zum Bahnhof zu bringen. Bei der Fahrt durch das sonntagmorgendlich ruhige Ulan Bator hatten wir Gelengenheit, uns kurz noch zumindest etwas kennen zu lernen. Wir hatten zu wenig Zeit in UB, um gemeinsam etwas unternehmen zu können. Da uns vorgestern Tsolmons Frau mit ihrem anderthalb Jahre alten Sohn die Wohnung übergab, kennen wir nun die komplette Familie. Beide sprachen ein perfektes Englisch und lebten mehrere Jahre in Europa. Tsolmon hat einige Semester Wirtschaft an der Uni in Grenobles studiert. Die Wohnung, die wir nutzten, ist ihr Familien Appartment in einem Neubau Hochhaus am Rande des unmittelbaren Stadtzentrums. Da das Gebäude von einem italienischen Investor errichtet/finanziert wurde, hat das Gebäude den romantischen Namen: Romeo & Juliette Tower! Die Sommermonate Juli und August und noch ein wenig der September sind die Hauptreise-Saison für die Mongolei und in dieser Zeit räumt Tsolmon mit seiner Familie die Wohnung, zieht zu einem Bruder in der Nähe und hat Gäste aus aller Welt bei sich. Wir haben uns in dem kleinen, sauberen und westlich eingerichteten Appartment wohl gefühlt … Bewohner von Ulan Bator auf Zeit. Man spürte den Kontakt der beiden zu Europa in ihren vier Wänden.

Der Zug fuhr pünktlich aus dem Bahnhof von Ulan-Bator. Vor dem schmutzig, staubverschmierten  Fenster unseres chinesischen Zuges zogen die Vorortsiedlungen vorbei. Das gleiche plüschige Abteil ist für anderthalb Tage unsere 1. Klasse Behausung für die Fahrt durch die Wüste Gobi, die innere Mongolei und hinein in die Millionen Metropole Peking. Die Bahn kurvte mit gemächlichem Tempo durch Ausläufer eines Gebirges. Die Vegetation wurde immer spärlicher und seltender waren die Hänge der nicht allzu hohen und runden Berggipfel mit Bäumen bewachsen. Nach einer letzten 360 Grad Kehre hatte der Zug den höchsten Punkt unserer Reise erreicht und folgte den geradeaus führenden Gleisen in eine immer spärlicher mit Pflanzenwuchs bedeckte Landschaft. Der sandige Boden schaute immer grossflächiger unter den verdorrten Grasbüscheln hervor. Die ersten Kamele die wir in der Nähe der einspurigen Strecke stehen sahen, bestärkten uns in unserer Meinung: Wir sind in der Wüste Gobi! Die Gobi vor unserem Abteilfenster war keine Sanddünenwüste wie in Namibia. Eher ein sich unendlich in die Weite dehnender, flacher, öder Landstrich. Kaum Abwechslung bietend, lullte die Landschaft aber wieder wunderbar ein. Ein kleiner Snack, noch ein paar Zeilen im Buch lesen, sich seiner Müdigkeit ergeben und dahin dösen. Die Welt drausen veränderte sich praktisch 10 Stunden lang nicht. Flaches Land und ein etwas trüber Himmel darüber. Ein 40 minütiger Stop am letzten „grösseren“ Bahnhof bot da willkommene Abwechslung  und war die Gelegenheit die letzten mongolischen Geldscheine in Proviant umzutauschen. 11 Stunden durch die Wüste, 700 Kilometer Trockenheit, die halbe Mongolei durchquert … in der gleichen Zeit bringt Dich der ICE von Basel nach Hamburg.

Der Waggon rumpelt stark hin und her. Wir werden von einer Rangierlok mal vorwärts und dannn wieder zurück geschoben. Die Einreiseformularitäten am Bahnhof waren in knapp einer Stunde erledigt und danach ging es in die Umspur-Halle. Unsere Waggons erhielten die etwas schmaleren (ich glaube es ist die Normalbreite) Fahrgestelle montiert. Tolle Sache, die wir kurz vor Mitternacht aus dem Fenster in der hellbeleuchteten Halle beobachten durften. Alle Waggons wurden in die Werkhalle hineingeschoben, vereinzelt und dann mit einer Hebevorrichtung in luftige Höhen gehoben. Die einfahrenden neuen Fahrgestelle schoben die bisher genutzen nach vorne hinaus und wir wurden wieder hinunter gelassen. Jetzt ist der Zug zusammengefügt und startet seine nächtliche Fahrt auf Peking zu.

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