Kasachstan

Die warme Luft steht, fast zum Schneiden dick, im gesamten Zug. Kaum ein Luftzug verschafft Abkühlung. Der ganze Zug döst vor sich hin. Vermutlich nicht nur der kleine Junge nebenan in seinem verschatteten Abteil mit seiner tief schlafenden Mama, sondern auch unser Wagonchef Anwa, lang ausgestreckt und leise schnarchend auf einer der freien Liegen, Conny neben mir, zusammengerollt wie ihr Kater und wohl auch der Lokomotivführer … denn wir rollen recht gemächlich durch die unendlich weite, warme, kasachische Steppe.

Der Blick gleitet aus dem Fenster in Richtung Unendlichkeit. Vereinzelt tauchen Spuren von Zivilisation auf, aber meist bestimmen die erdfarbende, trockene Steppenlandschaft und ein hellblauer, wolkenloser Himmel das Panorama. Unser Zug rollt dem ehemaligen kasachischen Ufer des Aralsees entgegen und weiter durch die neue Nacht in Richtung kasachisch-usbekischer Grenze. Von dort ist es noch eine Stunde für den an Wagons reichen Zug und wir fahren in den Taschkenter Bahnhof ein.

Wir wohnen im Expresszug 150 verteilt auf zwei Wagons. Der Zug gehöhrt der usbekischen Staatsbahn und alles Personal auf diesem Zug stammt aus Usbekistan. Christiane, Sebastian und Thomas wählten die etwas günstigere Standardklasse mit einem Vierer-Abteil zur Dreiernutzung und schlafen links und rechts eines schmalen Ganges in Doppelstockbetten in ihrem Abteil. Sagen wir es so … sie sind sich in den beiden Tagen sehr nahe gekommen. So etwas schweisst die Reisegruppe zusammen. In ihrem Wagon 6 führt „Goldzähnchen“ namens Tachil das Kommando. Der usbekische Staatsbahnangestellte lacht viel und präsentiert dabei eine golden glänzende Reihe Schneidezähne … erinnerte uns sofort an „Beisser“ aus einem der älteren James Bond Filme. Gemeinsam mit Jakob, dessen genauen Arbeitsaufgaben sich uns noch nicht erschlossen haben, waren beide wohl während Ihrer Dienstzeit in der Roten Armee in Dresden stationiert. Schafft Gemeinsamkeit zwischen ihnen und uns! Allerdings ist der erlernte deutsche Wortschatz wenig hilfreich, eher furchteinflössend: „ACHTUNG, ACHTUNG; Hände hoch (mit der entsprechenden Gewehrgeste) und zumindest noch ein Guten Tag“.

Conny und ich haben uns, in unserer Funktion als Reiseleiter 😇 für die Luxusklasse 😂 entschieden, wobei der Unterschied darin besteht, dass die beiden oberen Betten in unserem Abteil fehlen und das Wasser auf der Gangtoilette mit einem Wasserhahn regulierbar ist. Unser Wagon 5 wird durch Achma begleitet, ein ausgenommen freundlicher Usbeke, der uns fortlaufend mit Tee, Zuckerstangen und einer nächtlichen Extraportion Plov versorgt. Leider spricht niemand im Zug englisch, so dass wir mit Achma in unseren sehr rudimentären Russischkenntnissen kommunizieren und mit Hilfe von Händen, viel Gestik und dem kleinen Wörterbuch in unserem Usbekistan Reiseführer bereits einiges miteinander austauschen konnten:

  • Die Familienverhältnisse in unserer Gruppe (Ehepaar, Geschwister, Cousin …)
  • Die Anzahl der Kinder zuhause … klarer Sieger: Jakob mit stolzen 7 Kindern mit momentan 2 Frauen immerhin
  • Unsere Berufe … inklusive Verkaufsgespräch Rissan im Zug
  • viele Vorschläge zu unserer Reiseroute mit den unbedingt notwendigen zusätzlichen Abstechern, ohne die wir nichts von Usbekistan wissen … Timurs Stadt Shahrisabz
  • Wichtige usbekische Vokabeln zur Begrüssung und „Danke – rachmat“ …

Unsere Zeit im Zug dehnt sich sehr und somit wird jedes kleine Ereignis automatisch zum Highlight und erscheint berichtenswert. Die letzte Nacht zum Beispiel war reich an solch kleinen Episoden. Eigentlich hatte uns der im Speisewagen gegessene Plov (das usbekisches Reisgericht) sehr satt und das kleine Schlückchen Wodka in unserem Abteil, gerecht auf uns fünf verteilt, schläfrig gemacht. Da aber für 23:00 Uhr, welcher Zeitzone auch immer – wir haben etwas den Überblick da verloren, der russisch-kasachische Grenzübertritt angekündigt wurde, dösten wir nur vor uns hin und warteten auf den Stopp des Zuges im Grenzbahnhof. Ein junger russischer Beamter mit wenigen, antrainierten englischen Vokabeln fertigte uns zackig ab und entliess uns in den kasachischen Transit. 2 Stunden später sass sein kasachisches Gegenüber mit einem riesigen Kasten auf unserem Bett, begrüsste uns laut in Kasachstan und weiter ging es unverständlich in Kasachisch … vermutlich störte er sich an der Reiselust von uns Deutschen und den damit vielen Stempeln und Visa in unserem Reisepass. Somit wollte sein unter unserer Matratze 😇 verschwundener Einreisestempel nicht sofort in unseren Pass. Der Pass wurde an einen Mann in schwarzer Jeans, schwarzem Sweatshirt und abgewetzter schwarzer Lederjacke weiter gereicht … ich habe keine Vermutung zu welcher Organisation er gehören könnte … der die vielen bunten Stempelchen studierte und an dem des Irans hängen blieb und fragte woher dieser wohl wäre. Da ich ohne Brille auf der Nase bei solch kleinen Dingen eher rate als lese, habe ich im Brustton der inneren Überzeugung mit Türkei geantwortet und den Pass abgestempelt zurück bekommen … Connys Gesichtsausdruck müsst Ihr Euch selbst vorstellen.

Gerade sahen wir die ersten Kamele neben der Strecke. Wir sind in Zentralasien angekommen. Die Uhr zeigt fast 5 Uhr am Nachmittag hier in der kasachischen Steppe an und gleich sollte unser Zug wieder einen Bahnhof mitten im Nichts erreichen. Die uns verbleibenden 15 Minuten werden wir nutzen um uns ein sehr kaltes Eis zu organisieren …

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