Shatili … oder Schlafes Bruder

Kennst Du den Roman oder dessen Verfilmung „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider? Ein wunderbares Buch und ein unbedingt sehenswerter Film. Der Protagonist Elias hat das absolute Gehör und kann mit seinem Orgelspiel emotionale Stürme bei den Zuhörenden auslösen … und ich fühle mich gerade mitten hinein versetzt in die abgeschiedene Bergwelt dieses Romans und der Soundtrack des Films (sehr genial von Hubert von Goisern) passt zu diesem Winkel der Welt. Meine imaginierten Bilder beim Lesen des Buches entsprachen der gerade betrachteten Landschaft. Hohe Berge umgeben saftig grüne Hochalmen, fast menschenleer ist es hier. Das Rauschen des wilden Stroms unten im Tal ist bis hier hinauf zu hören. Der Wasserlauf vor unserer Wiese glitzert in der Abendsonne und friedlich grasen die Pferde um uns herum. In der Ferne, kaum richtig auszumachen, thront das verlassene Dorf Mutso schroff aufragend auf einem Felsen. Nur noch die Toten in den Gebeine- Häusern „bewohnen“ den ehemals bedeutenden Grenzort. Noch müssen wir gut 30 Kilometer wandern, um wieder am „Rand der Zivilisation“ in Shatili anzukommen.

Vom Atsunto Pass absteigend, zog sich der Weg auf die auf 2500 Meter Höhe gelegene Wiese sehr und forderte unsere mentale und körperliche Kraft ein wenig heraus. Belohnt wurden wir mit einem sonnigen Plätzchen, fast einer Aussichtskanzel, gut 700 Meter über dem Tal, in welches wir am folgenden Tag steil absteigen werden. Die Gewitterwolken zogen an uns vorbei. Es blitzte und donnerte heftig über dem Pass. Die energiegeladenen Wolken wurden vom Wind gegen das Massiv des Tebulos geschoben und türmten sich immer weiter auf … sehr schön mit einem gehörigen Sicherheitsabstand zu geniessen. Wir gratulieren uns dazu, schnell den Pass überwunden zu haben. Dort oben wird es jetzt sehr ungemütlich im Schneetreiben sein.

Der Abstieg ist zwar steil, aber deutlich weniger kräftezehrend als die zurückliegende Passüberschreitung. Auf der Hälfte der Abstiegsroute kommen uns zwei Fahrradfahrer entgegen … nicht fahrend, dafür ist der Weg viel zu steil, sondern ihre Mountainbikes huckepack auf dem Rücken schleppend. Wir alle sind dankbar für eine kurze Unterhaltung und somit eine Verschnaufpause. Wir beruhigen die Tschechen, dass es bis zum Hochplateau nicht mehr weit sei (kleine Notlüge) und sie wünschen uns „viel Spass“ bei der Querung des wilden Flusses im Tal.

Am Flussufer angekommen entwickelt sich die Überquerung etwas kritisch. Der Weg endet an einer gut zu durchwatenden Furt und dann weiter an einer Art „Brücke“ … zwei dünne Birkenstämmchen über dem tosenden Wasser. Grundsätzlich kein grosses Problem. Allerdings verschärft die mit uns gleichzeitig eintreffende Kuhherde die Gesamtsituation. Ein klassischer Stau an einem Engpass, den die Kühe sehr gelassen nehmen. Nicht so der mit der Beaufsichtigung der Herde betraute kaukasische Hirtenhund. Der nimmt seine Aufgabe sehr ernst und wir 3 Wanderer stehen gerade mitten in seiner Herde. Wild kläffend und seine Lefzen aggressiv hochziehend umspringt uns der Hund in immer enger werdenden Kreisen.

Das Thema „Hirtenhunde in Georgien“ füllt in Reiseführern mehrere Kapitel und einige Blogbeiträge dazu konnten wir auch bereits lesen … fast jeder Wanderer in Georgien hat seine Erfahrung mit diesen wilden, eigensinnigen Hunden gemacht. Die Tiere sind gross, sehr gross und kräftig und meist allein mit den Herden unterwegs. Kein anderer Mensch weit und breit. Vom ganzen Krawall ungestört trottet der Grossteil der Herde durch den Fluss zum anderen Ufer … aber eben nicht alle Kühe. Und so lange die Herde noch auf unserer Seite des Flusses steht, sind wir Feinde und werden bedrohlich laut knurrend in Schach gehalten. Wir wiederum wehren die „Angriffe“ mit Steine werfen ab und tasten uns langsam durch die Furt zur „Brücke“. Dank unserer „vormilitärischen“ Ausbildung in der DDR meistert zuerst Conny robbend die Brücke, dann Gigi und zuletzt ich … und niemandem wurde in den A… gebissen 😇

Dunkel bäumt sich vor uns am Ende des Tages das Festungsdorf am anderen Ufer des Flusses auf. Dem Licht der Sonne gelingt es kaum, durch die grauen Regenwolken bis in das enge Tal vorzudringen. Das verstärkt zusätzlich den mystischen Anblick, der sich uns bietet. Conny und ich werden die Nacht hinter einer dieser dicken, aus groben Felssteinen gefügten Mauern in einem einfachen Zimmer mit laut knarrenden Betten verbringen … unsere vorletzte Nacht in Georgien. Zudem hat das Guesthouse eine Dusche und ich kann mich und meine schmutzige Wanderhose waschen.

Unsere Rückfahrt nach Tbilisi über den ebenfalls nur mit einem Geländewagen im Sommer zu überquerenden 2700 Meter hohen Kreuzbärenpass ist dann fast problemlos und mit grosser Gelassenheit erträglich. Der heftige gestrige Regen hat die letzten Meter des Passpfades verschüttet und der Weg hinüber auf die andere Talseite muss mit schwerem Strassenbaugerät neu angelegt werden. Wir warten geduldig an einem sonnenbeschienenen Platz, zwei Steilkurven unter der Baustelle und schaukeln dann die neue, sehr wilde Piste die letzten 100 Höhenmeter hinauf zum Pass.

Unseren letzten Abend in Tbilisi verbringen wir wieder im so schön belebten, jungen Fabrika Hostel … fast ein Kulturschock nach der Abgeschiedenheit von Tuschetien. Noch einen letzten Tipp für Tbilisi: Unser letztes Abendessen in der Stadt war eines der besten während unserer Reise … sowohl die Küche als auch die Location lohnen den Besuch von შავი ლომი · shavi lomi

Ein Gedanke zu “Shatili … oder Schlafes Bruder

  1. Da habt ihr ab Omalo die genau gleiche Tour gemacht wie ich 1998. Ich wusste gar nicht mehr, dass die so lang war. Shatili ist inzwischen offenbar etwas ausgebaut; wir mussten noch in unseren Zelten übernachten – und ahnten damals noch nicht, dass wenig später auf dem schmalen Pfad dem Argun entlang Hunderte von tschetschenischen Familien aus dem Krieg hierher in Sicherheit gelangten. Aber es ist wirklich eine eindrückliche Gegend, die hoffentlich auch so bewahrt werden kann. Wir wünschen Euch einen guten Heimflug und freuen uns auf ein interessantes Wiedersehen!
    Peter & Paula

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