… „Ende der Welt“ ist der Name der Strasse, auf der wir von der grossen Stadt Punta Arenas in das kleinere Städtchen Puerto Natales rollen. So weit südlich auf unserer Erdkugel sind Conny und ich noch nie gewesen. Wie stellt man sich das „Ende der Welt“ vor? Ich denke anders, als wir es gerade erleben … verlassener, schroffer, weniger liebenswert. Aber dieses Ende der Welt gefällt uns …


Im Anflug auf Punta Arenas hat unser Flugzeug im tiefen Landeanflug seine letzte Kurve über der Magellan Meeresstrasse gedreht. Aus den runden Fenstern blicken wir auf eine grössere Hafenstadt hinunter. Die Sonne glitzert in der ruhigen See und die Maschine setzt sanft auf der Landebahn des Flughafens auf. Ich gebe zu, ich hatte Respekt vor dem Flug (eventuell Angst 😇). Ich musste an die angelesenen Schilderungen vom sturmgepeitschten Kap Horn denken und wie glücklich die Seefahrer waren, wenn sie nach der wilden Umfahrung der Spitze Südamerikas endlich im stillen Ozean (Pazifik) ankamen.

Aber heute scheint die Sonne und der Wind blässt angenehm sanft und fast warm. Die meisten Chilenen, die mit uns in Puerto Montt die Maschine betraten, waren in dicke Winterjacken gehüllt und wir hatten das Gefühl, bestimmt zu wenig wärmende Kleidung an- und mitzuhaben. Wir übernehmen unseren inzwischen dritten Mietwagen (😉) und der Angestellte weist uns bei der Übergabe darauf hin, dass wir heute einen Ausnahmetag haben und eher mit Sturm, Regen und eventuell Schnee rechnen sollen … Pahh! Doch nicht bei diesem Wetter!

Am Rand der Strasse vom Flughafen in die Stadt wandert eine grosse Gruppe junger Frauen und Männer und recken den Daumen in die Höhe … kennen wir von unseren ersten Reisen. Wir stoppen und drei der jungen Leute quetschen sich mit ihren grossen Rucksäcken zu uns in den Wagen. Und sie setzen die gleichen Prioritäten wie wir früher – wie alt das klingt: Als erstes übernimmt der junge Mann die Kontrolle über unser Radio, quetscht sich von hinten nach vorne durch und sucht einen Radiosender mit ansprechendem Musikprogramm. Dann klären wir das wer, woher, wohin und checken gegenseitig unsere Instagram Profile. Wir haben Studenten im Auto, Sofias und Thomas’ Namen merken wir uns (Dank Instagram Follower :-)) … alle drei sind Pfadfinder (sie tragen alle das gleiche gezwirbelte Halstuch und nennen sich „Scouts“) die an einem Projekt in Patagonien teilnehmen. Thomas kennt sich in der Welt aus und erklärt den beiden Damen, was dieses exotische „Switzerland“ ist, wo wir herkommen. Nebenbei erfahren wir, dass der aktuelle Präsident Chiles in Punta Arenas aufgewachsen ist und genau hier in diesem Park auf einen Baum kletterte, um zu seinen Anhängern zu sprechen … natürlich findet Thomas schnell im Internet ein Beweisfoto. Wir dürfen die 3 an der Universität von Punta Arenas aussteigen lassen und freuen uns über den gelungenen Start in unsere Patagonien Reise.

Wir haben 7 Tage Zeit, um die Südspitze von Chile zu erkunden. Natürlich wollen wir in die Berge und an die Gletscher, aber genauso interessiert es uns, wie lebt man hier „unten“ und deshalb erkunden wir auch die beiden südlichsten Städte Chiles (eigentlich der Welt – die Chilenen zumindest sagen, das argentinische Ushuaia lege zwar südlicher, wäre aber keine richtige Stadt). Punta Arenas ist mit über 300 000 Einwohnern eine richtige Stadt. Eine neue Stadt … die Stadtgründung durch erste chilenische Siedler aus dem Norden erfolgte um 1850. Die Strassen sind schachbrettartig angelegt und wir müssen höllisch aufpassen, nicht in eine Einbahnstrasse falsch einzubiegen. Eine der langen geraden Strassen führt in die eine Richtung, einen Häuserblock tiefer fahren die Autos dann in die entgegengesetzte Richtung.

An einer breiten, mit Bäumen dicht bestandenen Allee können wir unseren Wagen sicher abstellen und erlaufen uns die Stadt. Die Häuser stammen mehrheitlich aus der Zeit um 1900 … Gründerzeit Chic. Die Fassaden der meist 3 stöckigen Gebäude sind mit Ornamenten reich verziert und die Dächer tragen kleine Türmchen. Mittelpunkt ist der grosse, zentrale Platz, der in Chile fast „immer“ „Plaza de Armas“ heisst. Grosse Magellan Buchen verschatten den Platz angenehm und in der Mitte des Parks erhebt sich ein Denkmal, bekrönt mit einer grossen Statue von Magellan, der mit stolz erhobenen Kopf in Richtung der seinen Namen tragenden Meeresstrasse blickt. Natürlich berühren wir den glänzenden dicken Zeh einer der Figuren und stellen damit a) unser Glück und b) die garantierte, sichere Rückkehr nach Punto Arenas sicher. Ein hölzerner Musikpavillon gehört ebenfalls zum Park und die umliegenden Villen der ehemaligen Schafbarone ergeben einen sehr städtischen, aber völlig unerwarteten Charme.

Auf unserem Weg zur neu errichteten Uferpromenade kommen wir noch an einer Institution der Stadt vorbei … dem Kiosko Roco. Der Bau ist ein kleiner, bestimmt eher provisorisch gedachter Blechbau, eingequetscht in einer Baulücke zwischen zwei Häusern. Im Inneren des Kiosk stehen im Boden fest verankerte Barhocker vor einer längeren Theke aus Glasvitrinen. Dahinter führen geschäftige Frauen das Regime. Die Auswahl an Speisen fällt uns diesmal ausgesprochen leicht … der Kiosk bietet Brötchen mit gebratener Chorizo. Fertig ist die Auswahl. Die klein gewürfelte Chorizo ist irgendetwas zwischen einer Bratwurst und einer Salami und wird mit einem grossen Klecks Mayo ins kleine Brötchen gefüllt. Zur Wurstsemmel gehört ein grosses Glas Bananenmilch. Die Kombination ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber lecker. Kiosk und sein Angebot sind zum Nationalgut erklärt worden und ein Besuch empfiehlt sich wirklich.

Wir wandern die Strandpromenade entlang und schauen zu den grossen Schiffen auf der Meeresstrasse. Kreuzfahrtschiffe steuern den Hafen an und an der Mole liegt ein riesiger Eisbrecher mit einem wuchtigen, knallrot gestrichenen Bug. Bis zur Antarktis sind es von hier nur noch 1000 stürmische Kilometer durch die Drake Passage hindurch.

Stürmisch wird es auch an unserem zweiten Tag in der Stadt. Am Himmel spielen sich eindrückliche Szenen ab. Graue Wolken reissen auf, erst ein Regenbogen, dann zeigen sich hellblaue Flecken am Himmel nur um Minuten später wieder dicke Regentropfen auf uns nieder regnen zu lassen … beständig ist nur der starke und kalte Wind. Wir nutzen die Zeit um noch etwas südlicher zu gelangen, fahren auf der Ruta 9 so lange, bis es wirklich nicht mehr weiter geht. Zuerst noch auf einer gut geteerten Strasse, dann wird es eine rissige Betonstrasse die von einer Schotterpiste abgelöst wird. Der Pfad wird immer schmaler und verläuft stellenweise unmittelbar am Strand entlang. Und dann kommt das Schild „PARE“ (Stopp) und eine Schranke versperrt die Weiterfahrt … „Fin del Mundo“! Weiter geht nur noch zu Fuss über den schmalen, steinigen Strand. Rechts neben uns zieht sich ein grünes Dickicht den Berghang hinauf … links rollen die Meereswellen gegen den Strand. Der Wind blässt uns die Gischt ins Gesicht und wir haben ein Ziel unserer Reise erreicht … wir stehen wieder einmal an einem der Ränder unserer Welt.




240 Kilometer führt die Ruta 9 fast schnurgerade durch eine wellige, baumlose Landschaft noch Puerto Natales. Unterwegs sehen wir die ersten Guanacos (das Ur-Lama 🥸) am Strassenrand in der Pampa grasen. Keine Bäume, keine Siedlung weit und breit … vermutlich ein unwirtliches Land, wenn nicht dieses Ausnahme Sommer Wetter gerade herrscht. Je näher wir der Stadt kommen, um so mehr erheben sich die Berge links und rechts der Strasse. Nach einer letzten Kurve taucht recht plötzlich wieder das glitzernde Meer auf. Puerto Natales liegt an einem schmalen Fjord, einem Ausläufer der Magellanstrasse, der sich tief ins Landesinnere schlängelt. Die Häuser der Stadt sind klein, blechverkleidet und meist bunt gestrichen. Für ein maritimes Flair sorgen die wenigen, kleinen bunten Fischerboote in der Bucht. Wirkliche touristische Highlights bietet die Stadt keine … sie ist Durchgangsstadion für uns Touristen und unzählige Backpacker auf dem Weg in den „Torres del Paine“ Nationalpark. Dementsprechend gibt es einen grossen Supermarkt (für die letzten Vorräte), einen Outdoor Kleidungsshop und einige kleine Kaffeeläden plus nette Restaurants im Ort. Sehenswert ist die den Strand überragende Skulptur. Ein Frauen- und ein Männertorso, im Sprung mit gespannten Körper vom Künstler eingefroren, ergeben einen wunderbaren Bildvordergrund gegen den blau schimmernden Fjord und die dahinter aufragenden schneebedeckten Berge. Die Berge, in die wir nun auch wollen …





